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Democratic Desert.
Der Krieg in Syrien.

Der Krieg in Syrien ist inzwischen zu einem normalen Hintergrundgeräusch in der täglichen Berichterstattung geworden. Wir hören davon im immerwährenden Strom der ausgewogenen Schlagzeilen, zwischen den Nachrichten zu den Turbulenzen an der Börse, den neusten Studien zum Klimawandel und den aktuellen Enthüllungen zur Korruption in der Fifa. Schlagzeilen, die uns bestürzen und faszinieren, die aber letztlich für unser Leben unbedeutend sind. Es tut uns nicht weh und wir fühlen uns nicht verantwortlich.

Wer den Bildband von Robert King aufschlägt, verlässt die sichere Welt des konformen Journalismus. Schon auf der Innenseite des Deckel findet man nicht wie erwartet die beruhigenden Angaben zu Herausgeber und die ISBN Nummer, sondern das Bild einer Menschenmenge. Skandierende Männer mit erhobenen Gewehren. Auf dem nächsten Bild eine grössere Menschenmenge, keine Gewehre diesmal, aber Kinder. Das dritte Bild zeigt eine Gruppe Frauen, angeführt von einem halben Dutzen Männer. Es ist nicht Hass, der einem entgegenschlägt. Die Leute scheinen Müde, frustriert, entmutigt.

Man erkennt, gegen wen skandiert wird. Doch die nächsten Bilder machen ein politisches Urteil müssig. Eine Strasse in den Staub einer Explosion gehüllt. Männer inmitten des Strassenkampf. Und dann die erste Tote, eine junge Frau. „Dieses Fotobuch offenbart schonungslos eine grausame Geschichte.“

Die Offenbarung erfolgt auf 240 Seiten mit Bildern: zerbombte Strassenzüge, junge Kämpfer mit ihren Waffen, weinende Frauen, ratlose Ärzte. Leichenteile. Blut. Und es hat Bilder von toten Menschen. Auch von Kindern. Seite um Seite mit Bildern von Leid, Zerstörung, und Tod.

Democratic Desert ist eine schwere Lektüre. Es ist ein endloser Strom grausamer Bilder. Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und der Schmerz der Leute wird immer greifbarer, gewinnt mit jedem weiteren Bild eine neue Schattierung.

Darf man so viel schreckliches in ein Buch packen?

Ja. Man muss sogar.

King zeigt ein Volk, das unvorstellbares durchmacht. Das Recht des Volkes, das Recht zu Bestimmen, das Recht auf Leben, selbst das Recht auf einen würdevollen Tod wurden in die Wüste geschickt. Das Buch ist ein Mahnmal darüber. Zugeich ist es ein Postulat, gerichtet an alle, die sich politisch oder militärisch in Syrien einmischen. Jede Intervention muss ein besseres Leben dieser Menschen in den zerbombten Strassen zum Ziel haben.

Ganz am Schluss des Buches folgen dann doch noch einige Seiten mit Text. Auf wenigen Abschnitten beschreibt Anthony Loyd den Krieg in Syrien von 2011 bis 2013. Es ist eine nüchterne Betrachtung des Passierten. Wie King mit den Bildern ist Loyd auch nicht an Schuldzuweisungen interessiert. Herkömmliche Kategorien wie „die Guten“ gegen „die Schlechten“ greifen zu kurz.

Auf diese Weise wurde Syriens Revolution zumindest zeitweise jedermanns Krieg nach niemandes Plan.

Democratic Desert. Der Krieg in Syrien, Robert King, Bern, Till Schaap Edition, 2014.